24 September 2009

Selbstlose Seelenjäger ohne Feuer und Schwert. Oder: Sektenalarm im Leipziger Rathaus.

Meine Lokalpostille, die Leipziger Volkszeitung, hat mir heute wieder viel Freude beschert. Nein, es geht nicht vordergründig um die Werbung für das Buch „Nachdenken über Leipzig“, ein verlegerisches Eigengewächs, die heute in der hölzernen LVZ und in der Online-Ausgabe http://www.lvz-online.de/aktuell/content/111984.html an exponierter Stelle nachzulesen ist. Natürlich ist das wieder einmal ein feiner Verstoß gegen den Pressekodex, aber das juckt doch bei diesem als Abo-Zeitung getarnten Anzeigenblatt längst niemanden mehr.

Vorab: Der folgende Text wurde ursprünglich 2009 auf meinem damaligen Blog „Laufende Gedanken“ veröffentlicht. Ich habe ihn zwecks Datensicherung hierher umgehoben.

Nein, so richtig amüsiert habe ich mich über einen gutmenschelnden Artikel zum Thema „Hare Krishna“. Oder viel mehr zum Thema „Interkulturelle Wochen“. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe wird u.a. auch die Internationale Gesellschaft für Krishnabewusstsein im Leipziger Rathaus einen Abend gestalten.
Und, so berichtet meine Lokalpostille, nun fordern „Experten die Absetzung dieses Indischen Abends“, weil Hare Krishna böse ist und so weiter und so gutmenschelnd.

Um von den Lesern meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches nicht missverstanden zu werden: Ich habe mit Hare Krishna nichts am Hut. Gelegentlich lasse ich in meinem CD-Player mal „Krishna Das“ laufen http://www.amazon.de/Greatest-Hits-Kali-Yuga-Krishna/dp/B0002O06PI/ref=pd_sim_m_3 , aber das hat etwas mit Musikgeschmack und nicht mit Religion zu tun. Ich höre manchmal übrigens Gospel, Orgelmusik und arabische Klänge.

Zurück zu den gutmenschelnden Experten. Gegen den „Indischen Abend“ durfte in meiner Lokalpostille zuerst Solveig Prass, die Geschäftsführerin der „Eltern- und Betroffeneninitiative gegen psychische Abhängigkeit Sachsen“ wettern. Da meine Lokalpostille Links für etwas Unmoralisches und Böses hält und auf solch Teufelei zumeist verzichtet (so sie nicht auf eigene Angebote verweisen), fehlt natürlich im vorliegenden Text der Link zu besagter Initiative. Bitteschön: Sie wirbt im Internet unter http://www.ebi-sachsen.de/ für sich, d.h. sie wirbt nicht, sondern warnt vor allem. Zum Beispiel vor Mormonen sowie vor dieser und jener Religionsgruppe. So richtig gut scheint eigentlich nur die „echte Mutter Kirche“ zu sein.
Dass Gutes tuende, ausschließlich der Sache verpflichtete Gutmenschen mitunter ein wenig übers Ziel hinausschießen, ist keine neue Erkenntnis. In Sachen ebi-sachsen gibt es durchaus kritische Stimmen … so z.B. hier http://www.novo-magazin.de/63/novo6332.htm

Interessant finde ich die auf der ebi-Seite angebotene Sekten-Checkliste, eine Art bebildertes Hilfsmittel für Pisa-Geschädigte, die durch die Beantwortung simpler Fragen feststellen sollen, ob ein Gegenüber sie womöglich für eine Sekte gewinnen will, nachzulesen hier: http://www.ebi-sachsen.de/sekten/checkliste.html (Achtung, den Sektenjägern fehlt die Verschlüsselung 😉 ) Es gilt: „Schon bei einem Ja – Vorsicht!“
Beispiel gefällig? Zitat Checkliste: „Das Weltbild der Gruppe ist verblüffend einfach und erklärt jedes Problem.“ Hmm, also könnten Die Linke und die NPD Sekten sein …
Noch’n Beispiel? „Die Gruppe hat einen Meister, ein Medium, einen Führer oder Guru, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist.“ Oskar Lafontaine?
Noch eins? „Du sollst sofort Mitglied werden.“ Fitness-Club?

Aber ich will ja nicht lästern, also lasse ich einen weiteren Experten zu Wort kommen, der in der LVZ seine Sicht der Dinge darlegen durfte: Thomas Feist, Bundestagskandidat der CDU. Er hat sich in Leipzig bereits einen Namen als toleranter Kunstkenner und Vordenker gemacht. Zur Erinnerung: Als das Leipziger Bildermuseum die Installation „Animatograph“ des Berliner Künstlers Christoph Schlingensief zeigte, schaltete Thomas Feist die Justiz ein und forderte in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft und den Museumsdirekter Hans-Werner Schmidt eine sofortige Altersbeschränkung wegen „gewaltverherrlichender, obszöner und pornographischer Inhalte“. Hmm.
Thomas Feist (http://thomasfeist.de/biografie.html) ist Referent für musisch-kulturelle Bildung beim Jugendpfarramt Sachsen und in der DDR laut offizieller Biographie vor allem Nicht-FDJler gewesen. Dass er für die evangelische Kirche tätig ist, beeinträchtigt sicher nicht seine Objektivität im Umgang mit anderen Religionen, nehme ich mal an.
Obwohl die in der LVZ veröffentlichte Feist-Forderung, dass die Stadt „dieser Sekte“ am 30. September kein öffentliches Forum geben darf, so etwas durchaus nahe legen könnte. Wäre ja auch noch schöner, wenn einfach eine Konkurrenz zu Mutter Kirche für sich werben dürfte! Schließlich kann man die Seele nur einmal erlösen bzw. einfangen. Wenn man von späterer Neubekehrung absieht, gilt „Wech ist wech!“. Seit Abschaffung der Heiligen Inquisition sind die Falschgläubigen so verdammt störrisch; früher, mit Feuer und Schwert, ließ sich noch das eine oder andere fehlgeleitete Schaf umstimmen.
Wobei: Die Feistsche Wortmeldung hat durchaus Unterhaltungswert. Zitat: „Sie stellen eine Person in den Mittelpunkt, durch den die Menschen zu Erlösung kommen sollen.“ Nun mag es ja blaphemisch sein, Hochwürden, aber beim Stichwort „Erlösung“ fällt mir immer zuerst ein Typ religiöser Fanatiker namens Jesus Christus ein, um dessen Herkunft sich allerlei seltsame Mythen ranken. Jungfräuliche Geburt, vom Heiligen Geist gezeugt und so. Also, wenn ich da mal die Fragen in der Sekten-Checkliste auf http://www.ebi-sachsen.de/ anschaue … aber hallo. Sektenalarm!
Für alle Leser, die bis hierher durchgehalten haben, noch einmal zur Erinnerung: Ich habe mit Hare Krishna nichts am Hut, obwohl meine Ohren Chanten eher mögen als Choräle.
Aber, beim Stichwort Erinnerung muss ich daran denken, dass vor gar nicht so langer Zeit Buddhisten in der kleinen Stadt Taucha bei Leipzig ein deutschlandweites Meditationszentrum errichten wollten. Im Unterschied zu den selbernannten Erben Jesu wollten sie dazu ausschließlich eigenes Geld einsetzen und hofften nicht auf staatliche Bezuschussung. Sie fanden ein Grundstück, legten eine Planung vor und begeisterten viele Tauchaer für sich – nicht zuletzt eine stattliche Anzahl von Geschäftsleuten, die sich von den Buddhisten zusätzliche Umsätze versprachen. Beinahe hätte es auch geklappt, wäre da nicht plötzlich eine heilige Allianz kreuztragender Seelenfänger aktiv geworden, die ein finsteres Bedrohungsszenario entwickelt und im Stadtrat eine unheilige Zweckkoalition der Andersfeindlichen geschaffen hat.
Wie gesagt: Der Kampf um die Seelen …



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Verfasst 24. September 2009 von admin in category "Aktuelles

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