Leergutgedanken. Oder: Big brother rückt weiter vor.

Es ist nur eine unbedeutende Nachricht, die mir da auf den Tisch schwappte. „Lidl entwickelt Pfandrückgabe weiter und führt digitalen Pfandbon deutschlandweit ein”, heißt es in der Pressemitteilung des Discounters. Es folgt das übliche Marketinggephrasel: Umwelt, Einkaufserlebnis, Komfort, Sicherheit. Was fehlt? Der Hinweis auf die mit der App-Lösung verbundenen Möglichkeiten im Hinblick auf Überwachung und Datenmissbrauch.
Wer mich nun einer „Verschwörungstheorie” bezichtig, liegt richtig. Ja, das ist es. Noch. Denn so ziemlich jede gängige Verschwörungstheorie hat sich (sieht man von flat earth, den Echsenmenschen und Area 51 ab, aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend) in den vergangenen Jahren als wahr herausgestellt. Denken wir doch einmal gemeinsam nach …
Lidl rollt als erster Discounter deutschlandweit den digitalen Pfandbon aus. Was bedeutet das? Wer nicht auf die noch (!) bestehende Möglichkeit zurückgreift, einen Papierbon ausdrucken zu lassen, benötigt zum Abgeben seines Leergutes die Lidl Plus App auf dem Smartphone. Damit meldet sich der Kunde beim Automaten an, das Pfandguthaben wird in der App hinterlegt und beim nächsten Einkauf – sofern der Kunde es nicht zuvor manuell deaktiviert hat – eingelöst.
Kleiner Nebeneffekt: Der Kunde ist nicht mehr anonym. Ja, ich weiß … wer nichts zu verbergen hat, muss nichts befürchten. Und was soll Lidl schon mit dem Wissen um Art und Menge des zurückgebrachten Leergutes anfangen? Schließlich erfährt der Discounter ja nur, wie viele Flaschen von welcher Sorte ich zurückgegeben habe; auch wenn’s Woche für Woche 47 Bierflaschen sind. Und was macht es schon, wenn Lidl nun von meinem kleinen (fiktiven) Bierverbrauchsproblem weiß? Oder auch, dass unter dem allwöchentlich angeschleppten Flaschenberg sortimentsfremdes Leergut war? Wer interessiert sich schon dafür, was und wo ein Kunde sonst noch einkauft? Und welche Mengen? Sollen die das doch ruhig wissen, darum hat Otto-Normalkunde bei den Installation der App ja auch brav zugestimmt, dass seine Daten von Lidl und Partnerunternehmen ausgewertet und verarbeitet werden dürfen. Also auch die, die sich nicht aufs Leergut beziehen, sondern auf den gesamten Einkauf. Schließlich sind die personalisierten Angebote ja auch sehr nett. Und außerdem ist das ja alles per Gesetz geregelt und Missbrauch ausgeschlossen.
Apropos ausgeschlossen: „Wo ein Trog ist, sammeln sich die Schweine.” Der Spruch stammt nicht von mir, sondern aus dem Bundesverfassungsgericht und wurde 2009 im Zusammenhang mit der Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung bekannt. Im Klartext: Die höchsten deutschen Robenträger erkannten die Gefahr, dass gesammelte Daten Begehrlichkeiten auch bei denjenigen wecken können, die diese Daten gar nichts anzugehen haben. Aber warum sollte meine Krankenkasse sich daran stören, dass ich pro Woche fünf Flaschen Wodka (igitt) und ein halbes Schwein (noch mehr igitt) verdrücke?
Alles klar soweit? Dann spinnen wir diesen Gedanken weiter.
Vor ein paar Tagen wurde der digitale Bon eingeführt. Ein paar deutsche Defizitmilliarden später kommen scharfsinnige Fahnder plötzlich auf die Idee, sich die erfolgreichsten Pfandflaschensammler ihres Zuständigkeitsbereiches näher anzuschauen. Schwups, schon zappelt ein bienenfleißiger Renter im Netz. Hat der eigentlich den Zuverdienst in der Steuererklärung angegeben? Und bei den Versicherungsbeiträgen?Was ist eigentlich mit den Bürgergeldempfängern? Haben die etwa am Leergut gesammelt und diesen „Zufluss” verschwiegen?
Wer nun glaubt, dass dieses Beispiel an der Haaren herbeigezogen und alles viel zu aufwendig sei, liegt falsch. Eine Schnittstelle zum Pfandsystem, dazu etwas Programmieraufwand (ich vermeide das Buzzwort „KI”, weil es die dazu wirklich nicht braucht) und ein paar Filter und schon purzeln die Missetäter aus der Anonymität, auf dass sie geschröpft werden mögen, denn Deutschland braucht Geld für alle Welt. Wenn dann die anderen Discounter und Supermärkte nachgezogen haben (und das werden sie tun), gibt es eine bundesweite Pfandbonerfassung und der Trog wird für die Schweine noch attraktiver.
Immer noch skeptisch, dass so etwas im besten Deutschland aller Zeiten Realität werden könnte? Dem kann abgeholfen werden. Beispiel gefällig? In den goldenen Zeiten war Ebay zwar kein rechts- aber doch ein weitgehend kontrollfreier Raum. Geld wurde mal eben so überwiesen und wurde mitunter sogar im Briefumschlag verschickt. Ach, war das schön, aus den USA in den 1990ern per Post Dollarnoten zu erhalten … Aber zurück zum Thema: Da kaufte und verkaufte man nach Herzenslust und tat das in durchaus mit Gewinnerzielungsabsicht und in gewerblichen Dimensionen, ohne ein Gewerbe anzumelden oder gar irgendwelche Steuern abzuführen (Ich würde so kriminelle Dinge natürlich nie tun.). Vor einigen Jahren endeten diese paradiesischen Zustände, die Finanzbehörden lesen seitdem automatisiert mit, wer in welchen Größenordnungen handelt und achten darauf, dass die Kasse klingelt. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch gar zu eifrige Flaschensammler an die Reihe kommen.
Noch mal zurück zum Trog und den Schweinen: Die digitalen Pfandbons bieten den Mitgliedern der Suidae-Familie (aka Echte Schweine) neben der finanziellen Trüffelsuche noch einen weiteren Mehrwert. Wer sie nutzt, fügt seiner ohnehin meist deutlich sichtbaren Datenspur freiwillig weitere Fußabdrücke hinzu. Schließlich wird ja nicht nur der am Automaten erlöste Betrag erfasst, sondern auch Ort und Zeit der Leergutrückgabe. Und der nächsten, und übernächsten … Der feuchte Traum aller Schlapphüte wird Realität. Klar, ich weiß: Wer nichts zu verbergen hat, muss keine Angst davor haben, ein hochpräzises Bewegungsprofil zu erzeugen. Schließlich ist Deutschland ein Rechtsstaat und niemand käme auf die Idee, einen haltlos denunzierten Michael Ballweg neun Monate lang in Untersuchungshaft zu sperren … Angenehme Träume noch! -ad
P.S.: Der Fairness halber sei ein wesentlicher Vorteil des digitalen Pfandbons nicht verschwiegen: Da kein Kunde seinen Bon mehr liegenlassen oder verlieren kann, läuft keine unterbezahlte Verkäuferin mehr Gefahr, einen solchen zu finden, aufzuheben, einzulesen und ihren Job zu verlieren.