Ein etwas anderes Weihnachtsmärchen von Schuld und Sühne und Asbest
Die folgende Geschichte hat sich nie zugetragen. Die handelnden Personen sind frei erfunden. Und sollte sich meine Geschichte irgendwann irgendwo auch nur so ähnlich ereignet haben, dann auf keinem Fall in meinem Dorf.
Es geschah in einem weit zurückliegenden Jahr um die Zeit der langen Nächte, wenn die Menschen schon beginnen, sich auf das heilige Christfest zu freuen. Da begab sich ein Mann von niederem Stande zum Haus des Dorfschulzen und begehrte Einlass. Der Fremde hatte sich als Knecht bei einem reichen, hartherzigen Manne verdingt, doch dieser hatte ihn hinausgeworfen. Und so wusste der arme Mann nicht ein noch aus und setzte sich an den Tisch des Dorfschulzen, um ihm eine Weihnachtsgeschichte zu offenbaren. Sein Herr habe schwere Schuld auf sich geladen, berichtete der Fremde. Der Dorfschulze hörte gespannt zu.
Und ich wechsle jetzt der Einfachheit halber wieder in die Sprache des 21. Jahrhunderts: Im Gespräch mit dem Dorfschulzen … äh … Bürgermeister … haute der gefeuerte Mitarbeiter seinen früheren Chef ordentlich in die Pfanne. Bei der Sanierung eines zugekauften Firmengebäudes seien beträchtliche Mengen Asbest nicht ordnungsgemäß entsorgt, sondern einfach auf dem Gelände vergraben worden.
Ein übereifriger Bürgermeister hätte die Sache beim zuständigen Umweltamt zur Anzeige gebracht und die Gerechtigkeit hätte ihren Lauf genommen. Aber mal ehrlich, damit wäre niemandem geholfen gewesen. Und so nutzte der Bürgermeister eine Fähigkeit, die er während vieler Amtsjahre zur Perfektion entwickelt hatte: Er zog Strippen …
Er ging zum so heftig Beschuldigten und erzählte ihm von einer äußerst unwahrscheinlichen Geschichte, die ihm zugetragen worden sei, die er aber natürlich nur für ein Gerücht halte. Und so hörte der staunende Firmenchef die Story vom verbuddelten Asbest und dem drohenden Skandal. „Nicht auszudenken, wenn da was dran wäre”, stellte der Bürgermeister fest und beide Männer lachten herzlich über die wilde Phantasie des geschassten Mitarbeiters, den es gar nicht gegeben habe. Im Gehen drehte sich der Bürgermeister noch einmal zu seinem Gesprächspartner um und sagte: „Haben Sie eigentlich schon gehört, dass der Seniorenverein ziemlich knapp bei Kasse ist? In diesem Jahr wird es bei der Weihnachtsfeier wohl nicht mal Musik geben, weil das Geld für den DJ fehlt …”
Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, doch sie geht noch ein Stück weiter. Auf dem Firmengelände herrschte am nächsten Tag hektische Betriebsamkeit. Nachbarn wollen sogar einen Bagger und Lkw gesehen haben, die etwas abtransportierten. Ach ja, und die Omis und Opis aus dem Seniorenverein legten bei ihrer Weihnachtsfeier eine ziemlich heiße Sohle aufs Parkett. Für die Musik sorgte sogar eine Liveband.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
ad