16 April 2016

Asylbusiness. Oder: Norddeutsches Cleverle

Kürzlich hatte ich das sehr zweifelhafte Vergnügen, bei einer Kesselgulaschparty ein mir nicht nahestehendes Paar wiederzutreffen, dass ich glücklicherweise seit Jahren nicht gesehen hatte. Die beiden sind Ende 60/Anfang 70 und stammen aus Norddeutschland. Irgendwo nahe Ratzeburg betreiben sie so etwas ähnliches wie eine Jugendherberge. Sollten die Leser meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches sich nun fragen, was ich mit „so etwas ähnliches” meine, so sei ihnen folgendes verraten: Ich hatte vor mehr als einem Jahrzehnt das recht traumatische Erlebnis eines Aufenthaltes in diesem Etablissement und erlebte ein heruntergekommenes Anwesen mit 60er-Jahre-Flair und einem Berg längst überfälliger Investitionen, hinter dem sich der Großglockner locker verstecken ließe. Für Spätmerker: Mehrbettzimmer mit NVA-Flair, Waschräume mit Gemeinschaftströgen und PVC-Hähnen (natürlich Kaltwasser), eine heruntergekommene Küche mit Ekelgarantie sowie eine wirklich schöne Kümmerlingsonne im Speisesaal. Dazu gab’s Preis auf gehobenem Niveau und Aufschläge für das allerkleinste Extra, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist. Besagte Herberge dümpelte so vor sich hin und sollte vor zwei, drei Jahren zwecks Altersfinanzierung der Eigentümer verkauft werden. Der Erfolg war sehr überschaubar, der einzige Interessente – ein polnischer Unternehmer, der eine Herberge zum Melken von Saisonarbeitern und anderen armen Schweinen einrichten wollte – ist zuverlässigen Quellen zufolge schreiend weggelaufen, nachdem er die Immobilie gesehen hatte. Andere Quellen berichten auch vom zwischenzeitlich misslungenen Versuch eines warmen Abrisses. Die örtliche Feuerwehr hat das Geschäft wohl platzen lassen, da sie schon eintraf, ehe der bis heute geheimnisvolle Brand eines Nebengebäudes infolge Selbstentzündung aufs Haupthaus übergreifen konnte. Blöde dienstgeile Typen …
Also schien es, als müssten die Herbergseltern ihre Ruine für sich und ihr verrottetes Wohnmobil auch künftig behalten.
Aber wer das glaubt, hat die Rechnung ohne Angela Merkel gemacht … jetzt kam die Flüchtlingskrise und mit ihr das unglückliche „Wir schaffen das” und das ganze weitere Elend.
Langer Rede kurzer Sinn: Das Paar mit der vergammelten Jugendherberge vergaß seine bislang eher leitkulturelle Einstellung und wechselte zügig ins Flüchtlingsbusiness. Die wacklige Hütte ist an den Landkreis vermietet, die Küche nun mit fünf neuen Profiherden ausgestattet und das Haus grundsaniert. Doppelstockbetten? Unzumutbar, weg damit. Dass dabei auch die olle Kümmerlingsonne weichen musste, … scheiß drauf, ist eh haram …
Nun leben zur Freude der Nachbarn nette zugereiste Menschen dort, wo sich kürzlich noch Schüler auf Klassenfahrt ekeln durften und meine Bekannten sind begeistert. Nach Leipzig zur besagten Kesselgulaschparty kamen sie mit einem frischen Wohnmobil, auf dem brandneuen iPhone zeigte der stolze Herbergsvater Videos, auf denen seine ach so lieben Gäste zu sehen waren. Und als ich darüber sprach, dass ich mein betagtes Fahrrad mal wieder in Schuss bringen müsste, wollte er es mir gleich abnehmen, um es an die netten Jungs zu verkaufen, die so gern rumfahren. Mal ehrlich: Lieber hol‘ ich die Flex raus und verarbeite den ollen Drahtesel zu handlichen Stücke.   -ad
12 Oktober 2009

Herz statt HiTech. Oder: undankbare Gedanken nach einem realsatirischen Festmahl

Wenn man zu einem „Feschtle“ – vulgo: kleines Fest – eingeladen wird, ist das schön. Schließlich gibt es Speis’ und Trank und nette Unterhaltung; oder zumindest sollte es das. Dieses Vergnügen erwartete mich am vergangenen Wochenende. Die Voraussetzungen für einen genüsslichen Abend waren eigentlich gut: Die Einlader bewohnen ein Haus der gehobenen Preisklasse in besserer Lage, ausgestattet mit einer Küche der noch gehobeneren Preisklasse samt allerlei oberfeiner Technik und setzen – soviel weiß ich von früheren Anlässen – für ihre „Feschtles“ ausschließlich Zutaten ein, welche einer ebenfalls deutlich gehobenen Kategorie zuzuordnen sind.
Um es kurz zu machen: Wäre ich nicht durch frühere Veranstaltungen im selben Rahmen vorgewarnt gewesen, hätte ich sicher eine heftige Enttäuschung verspürt. So war ich im Bilde und hielt mich an die eine oder andere nicht zu verderbende Vorspeise, statt knurrenden Magens aufs Hauptgericht zu warten. Und auch die Kürbissuppe war, obgleich nicht inspiriert zubereitet, so doch zumindest erträglich. Trotz der Jakobsmuschel. Wenn die Dinger halt weg mussten …
Am Hefeweizen nippend, schaute ich dem Braten zu, der im exklusiven Ofen vor sich hin garte, natürlich per fest installiertem Bratenthermometer permanent kerntemperaturüberwacht. Als dieses Messinstrument die gewünschte 64 Grad meldete, wurden feine Brokkoliröschen dem schonenden Dampfgarer anvertraut und irgendwann gab es den Hauptgang auf die vorgewärmten Teller.
Das kulinarische Erlebnis lässt sich in gute und schlechte Nachrichten fassen. Die gute Nachricht: Das sauber geschnittene Fleisch war perfekt gegart, der edle Brocken zeigte im Anschnitt genau den Hauch von Röte, der Gourmets verzückt grunzen lässt.
Die schlechten Nachrichten waren leider in der Überzahl und ergossen sich auf mich beim ersten Probieren: Trotz des elektronischen Overkills und der noblen Küchenausstattung war der Hauptgang allenfalls lauwarm und weitestgehend geschmackfrei.
Unfreiwilliger Höhepunkt des aufwändig inszenierten Kulinarmassakers war für mich der vermeintlich schonend dampfgegarte Brokkoli, der die Konsistenz von Brühreis aufwies und auch so ähnlich schmeckte – nämlich nach nichts, auf alle Fälle nicht nach Brokkoli.
Da ich im Vorfeld derartiger „Feschtles“ zumeist auf Friedenswahrung gebrieft werde, verzichtete ich auf Kommentare zum Ausmaß der Genussexplosion ebenso wie auf den feilgebotenen Nachschlag und das Dessert. Weil: Schlimmer geht bekanntlich immer. Und auch an Muffins kann man viel verderben. Schließlich muss ich ja in dieser Woche wieder arbeiten.
Die essensbegleitende Konversation hätte durchaus das Zeug zur Realsatire. Die Gastgeberin lobte ihren Göttergatten für das Mahl und versuchte, eine verbale Lobeslaola dafür zu inszenieren, dass dieser den Tag in der Küche zugebracht hatte. Meinen Gedanken, dass er diese Zeit sinnvoller hätte nutzen können, behielt ich für mich.
So wie viele andere Gedanken an diesem Abend. Das war nicht etwa einer Redehemmung geschuldet, sondern der psychischen Verfassung der Gastgeberin: Den Namen der Krankheit kenne ich nicht, sie äußert sich aber darin, dass Fragen nur zu dem Zweck gestellt werden, sie auch gleich selbst zu beantworten und über vermeintliche, eigene Bonmots auch noch selbst zu lachen. Da ich nicht wusste, ob es sich dabei um einen neuen Therapieansatz oder nur eine Art von Verbalmasturbation handelte, schwieg ich und genoss das bizarre Schauspiel. Für solcherart Unterhaltung muss man ansonsten Fernsehgebühren zahlen.

Auf der Heimfahrt bewegten mich vor allem zwei Gedanken.
Zum einen grübelte ich über Vorratsausreden nach, um mich von künftigen „Feschtles“ befreien zu können.
Zum anderen lobte ich die unerfindlichen Wege des Schicksals, die mich mit einer Ehefrau gesegnet haben, mit der man sich angenehm unterhalten kann und die zu allem Glück eine exzellente Köchin ist. Auch ohne Nobelküche samt Bratenonlineüberwachung, dafür aber mit der notwendigen Portion „Herz“ …