Eigener Herd ist Goldes wert. Oder: Die DVD im Regal schützt vor woker Zensur
„DVD? Sowas hast Du noch? Man kann doch alles streamen …” durfte ich mir kürzlich anhören. Meine Antwort: „Ja, sowas habe ich noch. Die können nicht plötzlich verschwinden oder dem Zeitgeist angepasst werden. Deshalb habe ich übrigens auch noch Bücher.” Was in George Orwells „1984” noch als dystopische Zukunftsvision daherkam, ist mittlerweile längst Realität geworden: Bücher, Filme an andere küsntlerische Werke werden verändert, mit Klippschulkommentaren versehen oder verschwinden ganz in der Versenkung. Das ist es sinnvoll, auf originalgetreue Fassungen zugreifen zu können, die nicht zurechtzensiert wurden. Beispiel gefällig?
Um nicht missverstanden zu werden: Ich streame eine Menge Filme und lese sehr viele Texte an Bildschirmen von Smartphone bis PC. Dennoch finde ich es gefährlich, sich in die Abhängigkeit leicht manipulierbarer digitaler Archive zu begeben. Apropos manipulierbar: Winston Smith, der Held in Orwells (sehr lesenswertem Roman) „1984”, arbeitete im Wahrheitsministerium. Seine Aufgabe bestand darin, archivierte Zeitungen und Bücher der neuen Wahrheit anzupassen. Änderte sich die aktuelle Wahrheit, wurden die archivierten Druckwerke angepasst, neu hergestellt und die alten, mit der falschen Wahrheit, vernichtet.
Heute ist das einfacher. In der (wenig zuverlässigen) Wikipedia werden politisch strittige Aussagen hin- und zurückgeändert, es toben sogenannte „edit wars”. Die Mediatheken der staatsnahen GEZ-Sender versehen Filme mit Warnhinweisen (sofern sie diese nicht ganz aus dem Bestand tilgen), weil etwa in einem Streifen das Wort „Neger” gebraucht wird oder es an woker Vielfalt mangelt. Klassiker wie „Pippi Langstrumpf” werden für Neuauflagen umgeschrieben, weil die Heldin den Beruf ihres Vaters mit „Negerhäuptling” angibt. Und dann wäre da noch Jim Knopf, der zwar immer noch schwarz ist, aber im neuaufgelegten Buch kein Neger mehr sein darf.
Kulturhistorisch interessant sind auch die Veränderungen, die der dritte Film der Rambo-Reihe erfuhr. Für Nichtkenner: Rambo zeigt der sowjetischen Armee in Afghanistan, was eine amerikanische Harke ist. Die afghanischen Freiheitskämpfer werden dazu u.a. mit Stinger-Raketen ausgerüstet, um sowjetische Kampfhubschrauber abschießen zu können. Da es gegen „die Roten” ging, waren die Mudschahedin die Guten und wurden auch im Abspann gewürdigt, was auch auf meiner einst im Westfernsehen mitgeschnittenen VHS-Fassung zu sehen war. Wer den Film heute streamt oder auf DVD kauft, findet statt dessen eine Widmung, die den tapferen Menschen in Afghanistan gilt. Zeiten ändern sich halt und mit ihnen die Filme.
Mitunter liegt es aber gar nicht an einer politisch motivierten Zensur, wenn Inhalte verändert werden, sondern einfach am Geld. Wieso? Für die ersten drei Kinofilme der Indiana-Jones-Reihe gibt es zwei stimmlich unterschiedliche Synchronfassungen. Einige der deutschen Sprecher, die in der Fernseh- oder DVD-Fassung zu hören sind, wurden fürs Streaming durch andere ersetzt. Warum? Weil die drei ältesten „Indies” aus den Jahren 1981, 1984 bzw. 1989 stammen. Damals war es noch kein Thema, Filme oder andere Inhalte „über das Netz” abzurufen und anzuschauen. So kam es, dass in der Vergütung für die Synchronsprecher eine solche Nutzung nicht berücksichtigt wurde. Da eine Nachvergütung offensichtlich teurer geworden wäre als ein Neusynchronisierung mit wohlfeileren Stimmen, klingen in diesen Filmen plötzlich einige Darsteller anders als gewohnt.
Apropos ältere Filme: Bei vielen frage ich mich regelmäßig, ob diese heute 1. überhaupt noch und 2. genau so gedreht würden. Dürfte Schimanski immer noch sagen, dass Europa das Arschloch zwischen Amerikanern und Russen sei? Dürfte Lehrer Specht im ZDF (!) heute noch am Beispiel Negerkuss die political correctness ad absurdum führen? Oder Harald Schmidt politisch unkorrekt latenighten? Über dicke Kinder lästern? Über Autos, die „kaum gestohlen, schon in Polen” sind? Nein, sicher nicht.
Ich bin übrigens gespannt, wann die Zensoren eine erfolgreiche Serie wie „Big Bang Theory” rückwirkend auf Linie bringen. Es gibt da eine Szene (Staffel 11, Folge 18) in der Bill Gates in der Stadt auftaucht, weil er, wie Penny erzählt, mit seiner Stiftung in einen Impfstoffhersteller investieren will. Oha, Billyboy verdient Kohle mit Impfstoffen? Ein Schelm, wer denkt. In einer anderen Folge taucht ein bodenständiger Elon Musk auf, der wie selbstverständlich in einer Suppenküche abwäscht. Elon Musk? Geht’s noch? Da fällt mir ein: Ich muss unbedingt in meinem DVD-Regal nachschauen, ob dort tatsächlich alle Staffeln stehen. Update: Ja.
Fakten, die nicht ins gewünschte Bild passen, verschwinden. Erinnert sich jemand an die Umschau-Folge zum Thema „Verunreinigte mRNA-Impfstoffe”, die der mdr erst sendete und dann aus der Mediathek entfernte? Auch als die Mär von der angeblich mangelhaften Qualität des Beitrages längst widerlegt worden war, hob der Staatsfunk die Löschung nicht auf.
Übrigens droht Gefahr für digitale Inhalte nicht nur von irren Zensoren und Hütern einer vermeintlichen Wahrheit, sondern auch aus ganz anderer Richtung. „Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen”, heißt es in Goethes „Faust”. Anders gesagt: Ein Buch bleibt mir – sofern nicht „Fahrenheit 451” akut wird – in seiner Form unverändert erhalten. Ein eBook hingegen lässt sich (sofern nicht auf meinem Server vor Zugriff geschützt) verändern und sogar aus der Ferne löschen. Das klingt nach grauer Theorie? „Und grün des Lebens goldner Baum” heißt es zu diesem Thema in Goethes Faust. Soll heißen: Die Praxis sieht anders aus. Für Nutzer von Amazons Kindle gab es z.B. ein böses Erwachen, als gekaufte eBooks plötzlich verschwunden waren, da die vom jeweiligen Rechte-Inhaber an Amazon vergebene Lizenz ausgelaufen war. Diese Nutzer kennen jetzt den Unterschied zwischen Eigentum und Nutzungsrecht. Dumm nur, dass es dabei auch Schüler erwischt hatte, die in Vorbereitung einer Jahresarbeit so pfiffig waren, im eBook-Reader jede Menge Anmerkungen zu notieren.
Was Johann Wolfgang von Goethe angeht, so ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis auch ihm die Zensoren auf den Pelz und seine Werke geraderücken. Warum? Längst gibt es übereifrige Gutmensch:Innen, die das Heidenröslein als me too-Gedicht verteufeln. „Röslein wehrte sich und stach, half ihm doch kein Weh und Ach, musst es eben leiden.” Und was ist mit Faust? Alter, weißer Mann macht sich an eine seeeehr junge Frau ran. Damit deren Mutter das traute Glück nicht stört, gibt’s ein paar Tropfen für besseren Schlaf, der leider final wird … Sowas schreit ja geradezu nach zeitgemäßer Adaption, da muss mindestens ein pinkes Einhorn hineinredigiert werden und natürlich auch ein nichtbinäres Dingens mit einem Jutesack voller Pronomen. Und die Mutter? Um die ist es nicht schade. Die kann ruhig draufgehen, die war ja schließlich einfach nur hetero und voll rückständig.
Ganz ehrlich: Ich bin heilfroh, über ein gut sortiertes Bücherregal mit hunderten Bänden zu verfügen. Und über Filme, die mir niemand verwoken kann. Nur einen etwas modischeren Bademantel werde ich mir gönnen. Und Birkenstocksandalen. Falls 6 Uhr die Staatsmacht schellt. -ad