22 Februar 2024

„Die Kreuzzüge” oder: Ein Buch, das nachdenklich machen sollte.

Klar, die Kreuzzüge sind olle Kamellen aus dem 11. bis 13. Jahrhundert. Wozu also freiwillig ein gut 800 Seiten starkes Buch darüber lesen? Ganz einfach: Weil die Kreuzzüge ja ein Teil auch der deutschen Geschichte sind. Vor allem aber, weil Themen wie „Heiliger Krieg” und „Massenmobilisierung” an Aktualität nichts eingebüßt haben.

Die gute Nachricht vorweg: Thomas Asbridge ist zwar ein ausgewiesener Fachmann auf seinem Gebiet, vermag es jedoch, spannend und für Nichtfachleute verständlich zu schreiben. Als Wissenschaftler liefert er zu seinem Buch „Die Kreuzzüge” ein allen Ansprüchen gerecht werdendes Quellenverzeichnis, aber das muss der geneigte Laie ja nicht konsumieren.

Asbridge beschreibt die Geschichte der Kreuzzüge nicht nur aus abendländischer Sicht, sondern (soweit die Quellen es zulassen) auch aus dem Blickwinkel der muslimischen Welt. Das ist insofern bemerkenswert, da gängige (vor allem auch populäre) Darstellungen die Perspektive der Angegriffenen gern unterschlagen. Allen religiösen Verbrämungen bis hin zum päpstlichen Segen zum Trotz waren die Kreuzzüge vor allem eines: ein brutal geführter Angriffs- und Eroberungskrieg. Die Betrachtung beider Seiten hat noch einen weiteren Vorteil: Sie macht im Einzelfall deutlich, dass die z.B. der erste Kreuzzug von muslimischer Seite als ein militärischer Konflikt unter mehreren wahrgenommen wurde. So bedeutend die Einnahme Jerusalems aus abendländischer Sicht verstanden wurde, so schlug sie sich in muslimischen Quellen zunächst weit weniger spektakulär nieder, obgleich die Grausamkeiten des Kriegsgeschehens bis heute Teil des kollektiven Bewusstsein in der Levante sind.

Der Autor beschreibt die Kreuzzüge auch vor dem religiösen, politischen und ökonomischen Hintergrund ihrer Zeit. So kann der heutige Leser ein wenig nachvollziehen, welche gewaltige Bedeutung der den Kreuzfahrern versprochene Sündenerlass seinerzeit hatte. Er erkennt aber auch, dass das Geschehen stark durch die individuellen Interessen einzelner Akteure geprägt wurde – im Positiven wie im Negativen. Deutlich wird auch, dass längst nicht alles Kreuzzug war, was dieses Etikett trug. Asbridge schildert z.B. dass z.B. deutsche Interessen im Baltikum oder das militärische Geschehen in Spanien zum Kreuzzug umgedeutet wurden. Wer darüber nachdenkt, erkennt Parallelen zum heutigen Geschehen. Längst nicht alles, was z.B. als Kampf gegen den Terror oder rechts deklariert wird, dient vollumfänglich diesem Zweck, sondern nur zu oft auch wirtschaftlichen oder rein politischen Interessen.

Auch der zweite Kreuzzug gibt Denkanstöße für heutiges Tun. Zur Einstufung: Ludwig VII. und Konrad III. zogen gen Levante. Zwei Könige, deren Interessen „daheim” durchaus mit denen des jeweils anderen über Kreuz lagen. Auch wenn beide das Kreuz nahmen und in den Krieg zogen (mit desaströsem Ergebnis), änderte das doch nichts an ihrem Verhältnis. Heute ist das nicht anders: Auch wenn der (stellvertretende) Kreuzzug diesmal gen Osten geht, um den russischen Bären in die Schranken zu weisen, achten die beteiligten Mächte doch auf ihre ureigensten Interessen. Na gut, nicht alle. Deutschland macht den Olaf.

Das letztendliche Scheitern der Kreuzzüge und das Verschwinden der Kreuzfahrerstaaten hat viele Gründe. Asbridge zeigt deutlich, wie knapp bereits der erste Kreuzzug vor dem Scheitern stand und wie leicht und häufig es hätte anders kommen können. Schade, dass spätere Generationen nur ungern Lehren aus dieser Phase der Geschichte gezogen haben – bis heute.

Eine bemerkenswerte Leistung vollbrachten die Initiatoren der Kreuzzüge bei der Massenmobilisierung der Teilnehmer. Die Teilnahme versprach dem geläuterten Sünder zwar den sicheren Einzug ins Paradies, war aber teuer, langwierig, entbehrungsreich und mit hohem persönlichen Risiko verbunden. In einer Zeit, da Nachrichten bestenfalls mit der Geschwindigkeit von Pferdefuhrwerken reisten, wurden Massenveranstaltungen organisiert und durchgeführt, zogen Prediger als „Influenzer” durch Europa und wurden Heere mobilisiert und auf den Marsch geschickt.

Das alles geschah als Ausdruck des vermeintlichen Willen Gottes, vor allem aber unter dem Eindruck einer konstruierenden Bedrohung, die es in dieser Form in der Kreuzzugsära für das Abendland nie gegeben hat. Warum sollten die Vertreter einer morgenländischen Hochkultur als Eroberer auf den Weg zu den Barbaren im fernen West- und Mitteleuropa machen? Wer darüber nachdenkt, kann wiederum Lehren für die Gegenwart erkennen. Unter dem Deckmantel einer echten oder vermeintlichen Bedrohung lassen sich Massen mobilisieren, damals wie heute.

Noch schlimmer: Nach 9/11 sprach ein US-Präsident namens George W. Bush vom Kreuzzug gegen den Terror. Bush sagte bei seiner Rede am 16. September 2001: „This crusade, this war on terrorism is going to take a while.“ Ungeachtet aller Ungereimtheiten rund um die Anschläge stellt sich da die Frage, wie geschichtsblind und schlecht beraten man sein muss, im Zusammenhang mit der islamischen Welt von „crusade” zu faseln?   -ad

Thomas Asbridge, „Die Kreuzzüge”, versch. Ausgaben.

 

 


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Verfasst 22. Februar 2024 von admin in category "Aktuelles", "Gelesenes

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