17 Februar 2024

Diktaturen (und deren Protagonisten) verraten sich durch ihre Sprache

Victor Klemperer lebte von 1881 bis 1960. Er war ein jüdischer Literaturwissenschaftler. In Dresden entkam er dem Holocaust. 1947 erschien sein bekanntestes Werk: Mit „LTI – Notizbuch eines Philologen” wurde er über die Grenzen seines Fachs bekannt. LTI steht für „Lingua Tertii Imperii”, also die Sprache des Dritten Reiches. Wer glaubt, dass das der sprichwörtliche Schnee von gestern sei, liegt falsch. Die Sprache der Diktatur ist lebendiger denn je.

Auf LTI bin ich 1979, also kurz vor dem Abitur, aufmerksam geworden. Ein Lehrer¹ hatte es mit hintersinnigem Lächeln empfohlen. Na gut, ich las das Buch, fand es so mittelprächtig und legte es wieder weg. Mit einigem Abstand, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, nahm ich es erneut zur Hand und war beeindruckt. Zwischen dem, was Klemperer als sprachliche Besonderheiten der NS-Diktatur in seinem Tagebuch dokumentiert hatte und dem, was mir tagtäglich aus den offiziellen DDR-Medien entgegenschrie, gab es Parallelen. Keine versteckten, sondern solche, die ins Auge sprangen.

Als Spezifika der Diktatursprache nannte Victor Klemperer u.a. die Mechanisierung und Militarisierung der Sprache. Er schrieb vom Ankurbeln, vom Durchstarten, vom Gas geben usw. Herausfordernde Aufgaben wurden nicht einfach gelöst respektive gemeistert, sondern es wurden Schlachten geschlagen und die Reihen geschlossen. Nicht nur die Produktions- und Ernteschlacht waren in der DDR ebenso geläufige Begriffe wie im 1000jährigen Reich …

Dass eine Diktatur Feindbilder braucht und schafft, musste Klemperer als Jude tagtäglich erleben. Einige davon kamen in der DDR in veränderter Form zurück. So gab es unter den Nazis den „Kohlenklau”, eine finstere Figur, die der Rüstungswirtschaft dringen benötigten Brennstoff stahl. Die DDR-Propaganda kreierte den „Wattfraß”, einen stromverschwendenden Kobold, dem per Kampagnen das Handwerk gelegt werden sollte.

Dikaturen und deren Protagonisten verraten sich durch ihre Sprache, lernte ich damals.

Der Kohlenklau …
… und sein DDR-Gegenstück, der Wattfraß.

Die DDR verschwand 1990. LTI begegnete mir für einige Jahre nicht mehr. Nur gelegentlich flackerten Erinnerungen auf, denn die 1990er Jahre waren eine Zeit, in der „es einfach so lief”. Später dann, unter Gerhard Schröder, wehte zwar ein etwas anderer Wind, aber der markante Geruch der Diktatur war nicht zu erahnen. Dann kam eine gewisse Angela Merkel ans Ruder, das fortan Richtung Backbord gedreht wurde. Wes Geistes Kind die „Abrissbirne aus der Uckermark” tatsächlich ist, zeigte sich 2011 nach dem Reaktorunglück von Fukushima, vor allem aber in der Flüchtlingskrise 2015. Und plötzlich hörte ich wieder LTI. Nicht überall, aber die Anzeichen mehrten sich.

Dann kam (oder wurde gekommen?) die Covid-19-Pandemie (Fehlt da nach dem P etwa ein l? Das möge der geneigte Leser selbst herausfinden.). Angela Merkel verlangte ein Ende der „Diskussionsorgien” und sprach beim Kampf gegen das Virus von Geleitzügen. Wenig später wurden Feinbilder geschaffen, der Ungeimpfte wurde zum Wurmfortsatz, Schmarotzer und Schädling erklärt. Da fehlte nur noch die NS-Ergänzung „am Volkskörper”. Ja, die Dikatur feierte fröhliche Urständ.

Und heute? Gibt es wieder tumbe Kampagnen, Feinbilder, infanile Sprache mit Wumms, Doppelwumms, (Job)Turbo, Reform-Booster (Robert Habeck bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichtes am 21. Februar 2024), flankiert durch eine so perfide Propaganda, dass sie dem hinkenden Altmeister durchaus gefallen hätte. Wie hatte dieser formuliert? „Man muss eine Lüge nur oft genug wiederholen …”

Illustrationen dazu verkneife ich mir ganz bewusst. Die geneigte Leserschaft dieses kleinen Notizbuches möge sich die Abendnachrichten der „öffentlich-rechtlichen Medien” (welch schöner Euphemismus) oder einen Blick in die staatstragende Presse antun, dann finden sich die Beispiel zuhauf. Erneut zeigt sich, was schon der hinkende Altmeister der Propaganda formulierte: „Propaganda muss sich an die Dummen wenden. Die können wir erreichen und die entscheiden die Wahlen.” Oder, wie Obi-Wan Kenobi sagte: „Die Macht kann großen Einfluß haben auf die geistig Schwachen.”

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¹ Besagter Lehrer war ein ganz besonderer, leider viel zu früh verstorbener Mensch. Frank Melchert war ein unangepasster Pädagoge an einer sehr staatstragenden Erweiterten Oberschule (Gymnasien gab es im östlichen Teil Deutschland seinerzeit nicht). Er lehrte Englisch und Deutsch, trug Jeans und Sakko, nannte die ihn anschmachtenden Jungedamen “Sweetheard”, las mit uns Plenzdorf und Salinger und erzählte von Büchern wie Orwells „Animal Farm” und „1984”.

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Verfasst 17. Februar 2024 von admin in category "Aktuelles", "Gelesenes

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