Ein herrlicher Blick ins antike Rom
Couchsurfing ist keine neuzeitliche Erfindung, es wurde bereits in der Antike von Angehörigen der „feinen” Gesellschaft praktiziert. Herbergen und Gasthäuser waren wenig einladend, also übernachtete der betuchte Reisende in den Häusern von Freunden und Bekannten. Prof. Dr. Karl-Wilhelm Weeber, ein ausgewiesener Kenner der römischen Kulturgeschichte, geht in diesem Buch per Couchsurfing auf eine virtuelle Reise in das antike Rom und taucht außerdem in das Landleben zu Zeiten Kaiser Neros ein.
Eines vorweg: Ich habe schon zahlreiche Bücher von „Weeber mit drei e” gelesen und bin ein erklärter Fan dieses alten weißen Mannes. Er hat Klassische Philologie, Geschichte, Etruskologie und Archäologie studiert, leitete das Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal, ist Honorarprofessor für Alte Geschichte und Lehrbeauftragter für die Didaktik der Alten Sprachen an der Universität Bochum und Honorarprofessor für Alte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. In seinen Sachbüchern vermittelt er einen niedrigschwelligen Zugang zur Geschichte der Antike. Weeber knetet (als Sachse sage ich „gniedschd”) die Geschichte passend zum jeweiligen Thema. Auf diese Weise beleuchtet er nicht nur den „Alltag im Alten Rom”, sondern auch „Das Nachtleben im Alten Rom”, beschreibt Straßen und Verkehr, interviewt Caesar u.v.m.
Doch nun zurück zum vorliegenden Buch „Couchsurfing im Alten Rom”. Seine Existenz verdankt es der Corona-Plandemie. Da Weeber nicht wie gewohnt in die ewige Stadt reisen konnte, tat er das gedanklich; als Reisender aus dem barbarischen Germanien. Mit viel Liebe zu kleinen, aber sehr informativen Details beschreibt Weeber seine Ankunft und den Aufenthalt beim im doppelten Sinne stinkreichen Garum-Produzenten Aulus Umbricius Scaurus, schildert anhand seines Besuches bei einem Lagerverwalter und Lastenträger die Logistik, durch die die Weltstadt Rom versorgt wurde u.v.m. Er lernt einen aufstrebenden Wagenlenker kennen, eine Wirtin, einen Schulmeister, erlebt Armut und Reichtum beim Besuch eines Landgutes, führt interessante Gespräche mit einem Gladiator, einem Graffitikünstler und natürlich auch einer Edelhure.
Alles in allem lässt Weeber seine Leser an 20 kurzweiligen und interessanten Begegnungen teilhaben und vermittelt dabei auf unterhaltsame Art und Weise Wissen zur Antike. Die Inhalte der Begegnungen sind übrigens nicht der Phantasie des Autors entsprungen, sondern durch antike Quellen belegt. So basiert seine Beschreibung der Begegnung mit Trimalchio, dem großkotzigen und groben „König der Freigelassenen”, auf Petrons Satire „Das Gastmahl des Trimalchio”.
Auch wenn sich das Muster der einzelnen Geschichten wiederholt, wird die Lektüre des Buches nicht langweilig. Ein Genuss ist Weebers Spiel mit der Sprache, wenn er z.B. bei seinen fiktiven Gesprächen modernes Vokabular ins antike Rom transportiert oder aber – da lässt der Lateinlehrer grüßen – aufzeigt, wie viele lateinische Begriffe in unserer heutigen Sprache fortleben.
Allein das letzte Kapitel hat mich persönlich etwas enttäuscht. Im Gespräch mit dem Staatsmann und Philosophen Seneca kommt für meinen Geschmack etwas zu sehr der Untertanengeist eines Diederich Heßling durch. Da bringt Weeber die Wutbürger ins Spiel, denen es zu gut gehe, als dass sie Grund zur Unzufriedenheit hätten. Er klagt über vermeintliche Fake News und scheut sich nicht, Nachhaltigkeit und Verzicht ins Spiel zu bringen. Nur gut, dass das Buch 2022 erschienen ist. Anderenfalls hätte Weeber Seneca wohl auch noch mit „nebenwirkungsfreier Impfung” und Habeckschen Wärmepumpen traktiert. Am Ende des Kapitels war es für mich eine Wohltat, dass Seneca das Gespräch beendet, weil er zu Kaiser Nero gerufen wurde.
Fazit: Wer im leichten Plauderstil und auf unterhaltsame Art Wissenswertes über das antike Rom erfahren will, macht mit diesem nichts falsch. Und Kapitel 20 kann man ja überblättern. -ad
- Karl-Wilhelm Weeber, „Couchsurfing im Alten Rom”, Theiss in Herder; 1. Edition (6. April 2022), gebundene Ausgabe, 232 Seiten, ISBN 978-3806244182
Schlagwörter: Couchsurfing im Alten Rom, Karl-Wilhelm Weeber, Nero, Seneca
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