Inferno Dresden. Nachdenken über ein Buch aus der Zeit des kalten Krieges.
Kürzlich habe ich aus einem meiner Bücherregale mit Walter Weidenauers „Inferno Dresden” ein schon etwas angestaubtes Buch entnommen und mir als Urlaubslektüre unter griechischer Sonne gegönnt. Ja, es ist ein DDR-Propagandamachwerk. Dennoch lohnt die Lektüre; wer das Büchlein besitzt oder antiquarisch findet, sollte sich die Zeit nehmen. Es geht um die Zerstörung Dresdens am 13./14. Februar 1945.
Spätestens seit Jörg Friedrichs Buch „Der Brand” ist der Bombenterror gegen die deutsche Zivilbevölkerung kein publizistisches Tabuthema mehr, sehr wohl aber ein Thema, das „Die Guten™” sehr gern nach ihrem Wunsch umdeuten. Fest steht: Von 1940 bis 1945 hat das Bombardement in Deutschland ca. 600.000 zivile Opfer gefordert. Diese Zahlen sollen keineswegs die deutsche Kriegsschuld bzw. die von deutscher Seite begangenen Verbrechen relativieren, dennoch sollte man die Angriffe der Alliierten auf deutsche Städte als das benennen, was sie waren: Kriegsverbrechen. Genau das hat Jörg Friedrich in seinem Buch getan; er ging sogar soweit, 1000-Bomber-Schläge mit folgendem Feuersturm in Relation zu den Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zu setzen.
Die Zerstörung der Kulturstadt Dresden durch englische und US-amerikanische Bomber im Februar 1945 gehört für Zeitzeugen und später geborene, in der DDR sozialisierte Menschen gleichermaßen zur kollektiven Erinnerung. Eine bis zu diesem Zeitpunkt unzerstörte Stadt wurde kurz vor ultimo in weiten Teilen in Schutt und Asche gelegt, obwohl es dafür aus militärischer Sicht keine stichhaltigen Gründe gab. Der Schwerpunkt der Angriffe lag nicht auf der durchaus vorhandenen Rüstungsindustrie, sondern richtete sich gegen Wohnhäuser und das kulturhistorisch wertvolle Stadtzentrum.
Walter Weidauer, ein in der Wolle gefärbter Kommunist, kam zwar erst nach der Zerstörung in die Stadt, erlebte das Ausmaß des Schreckens aber unmittelbar. Von 1946 bis 1965 war er Dresdner Oberbürgermeister und kann daher mit Fug und Recht als Zeitzeuge gelten. In seinem 1965 Buch „Inferno Dresden” beschreibt er Hintergründe, Ablauf und Ausmaß der Zerstörung naturgemäß durch die „rote Brille” des Kommunisten und unter dem Einfluss des Kalten Krieges, dennoch ist dieses Buch ein lesenswertes Zeitdokument. Es verdeutlicht die militärische Sinnlosigkeit der Bombenangriffe und beschreibt anschaulich, weshalb dieses Verbrechen gerade die Stadt Dresden getroffen hat und welches Schicksal Dresden ursprünglich zugedacht war: Um der Sowjetunion, dem zunehmend ungeliebten Alliierten, zu zeigen, wo der sprichwörtliche Hammer hängt, habe Winston Churchill Dresden als Ziel für den ersten Einsatz einer Atombombe ins Spiel gebracht, so Weidauer. Schließlich sei die Auslöschung einer bis dahin unzerstörten Stadt allemal anschaulicher als das neuerliche Umpflügen von Trümmern. Nur der rasche Vormarsch der Roten Armee habe Dresden davor bewahrt, da absehbar war, dass die Atombombe bis zum Eintreffen der Roten Armee nicht zur Verfügung stehen würde.
Interessant ist die Lektüre dieses Buches auch aus einem anderen Aspekt: Die Diskussion um die Zahl der Opfer des Bombardements ist in jüngerer Zeit immer wieder aufgeflammt. Dass die von der NS-Propaganda verbreiteten Zahlen jeder sachlichen Grundlage entbehrten, ist unbestritten. Dennoch wurden die Zahlen im Ergebnis neuerer Auftragsuntersuchungen wieder und wieder nach unten korrigiert, was bei vielen Dresdner und „gelernten DDR-Bürgern” zu dem sarkastisch formulierten (sinngemäßen) Fazit führte, dass wohl in ein paar Jahren herausgefunden werde, dass es weder die Angriffe noch die Opfer gegeben habe und die Stadt durch einen Raucherunfall abgebrannt sei.
Walter Weidauers Buch bietet diesbezüglich wichtige Anhaltspunkte, wie die (inzwischen als überhöht abqualifizierten) Zahlen ermittelt wurden. Er beschreibt die bürokratische Erfassung der einzelnen aufgefundenen Opfer in Listen; eine Erfassung, die noch zu seiner Zeit als Oberbürgermeister laufend aktualisiert wurde, wenn beim Abtragen von Schutt und Beräumen von Kellern Überreste von Menschen gefunden wurden. Er beschreibt zudem die fortlaufende und lückenlose Nummerierung der Einträge, die erstaunlicherweise zu Gesamtzahlen führte, die heute nicht mehr anerkannt werden.
Ein weiterer Punkt im kollektiven Gedächtnis vieler Zeitzeugen sind die Tieffliegerangriffe auf Menschen, die sich aus dem Inferno der brennenden Stadt ans Elbufer geflüchtet hatten. Weidauer verweist in seinem Buch auf die den Begleitjägern erteilte Erlaubnis zur Bekämpfung von Gelegenheitszielen und schildert aus eigener Anschauung die Einschüsse von Maschinenwaffen in vielen Bäumen des Großen Gartens. Er zitiert zudem einen Bericht der Gauleitung vom 15. März 1945 dahingehend, dass „bei allen Angriffen Bordwaffenbeschuss festzustellen gewesen” sei. Diese Aussage passt zu Erinnerungen meiner Großmutter, die ihr Leben lang als Pflegerin im Krankenhaus Arnsdorf gearbeitet hat. Sie berichtete von Opfern mit Schussverletzungen, die nach den Angriffen dort versorgt wurden.
Sowohl die von Weidauer genannte Zahl der Opfer als auch die von Zeugen beschriebenen Angriffe von Tieffliegern wurden im Zuge staatlich finanzierter Aufarbeitung ins Reich der Legende verwiesen. In diesem Zusammenhang lohnt sich die Lektüre des Buches „Inferno Dresden” umso mehr. Möge sich jeder Leser ein eigenes Bild machen. -ad