28 Februar 2024

Von roten Linien

Rote Linien haben seit einigen Jahren Konjunktur. Laut Wörterbuch beschreibt der Begriff „eineHandlung/Position von einer Person/Gruppe, die von einer anderen Person/Gruppe nicht (mehr) toleriert wird.” Geradezu inflationär wird diese Phrase von Politikern verwendet. Das mag der aktuellen Unsitte geschuldet sein, Menschen mit einer abweichenden Meinung zu Feinden zu erklären und sie in böse Ecken zu stellen. Aber wer hat’s erfunden?

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die rote Linie ihren Ursprung nicht nur in einem Krieg hat, sondern dass eben diese Orgie von Mord und Totschlag in einer Gegend stattfand, wo heute wieder ein Krieg tobt. Der Krimkrieg war’s. Auf der einen Seite stand das Kaiserliche Russland, auf der anderen standen das Vereinigte Königreich, Frankreich und das Osmanische Reich. Dieser Krieg zog sich von 1853 bis 1865 hin, die Verluste beliefen sich auf insgesamt rund 670.000 Mann. In der eher weniger bedeutenden Schlacht bei Balaklawa machte sich ein osmanisches Kontingent unter dem Druck eines russischen Angriffes vom Acker. Um die 700 der Sutherland Highlanders formierten sich in zwei Linien und stoppten (gemeinsam mit 1.000 Osmanen) eine russische Übermacht. Wegen der roten Uniformen der in Linie angetretenen Highlander wurde der Begriff „The thin red line” geprägt.

In die Geschichte und den englischen Sprachgebrauch ging im Ergebnis dieser für den weiteren Kriegsverlauf unerheblichen Schlacht außerdem „Die Attacke der leichten Brigade” ein. Um es kurz zu machen: Ein falsch übermittelter Befehl führte dazu, dass 673 leichte Reiter gegen eine gut befestigte russische Artilleriestellung anstürmten, diese unter schweren Verlusten erreichten und sich unter weiteren Verlusten vor einem starken russischen Gegenangriff zurückzogen. „The charge of the light brigade” steht im Englischen deshalb für ein wegen mangelhafter Vorbereitung und Führung zum Scheitern verurteiltes Unternehmen.    -ad

Ein PS kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen: Ein gewisser Friedrich Engels, seines Zeichens Hauptsponsor von Karl Marx und militärischen Fragen sehr zugetan, äußerte sich anerkennend über die Disziplin der Rotröcke: „Eine englische Schlachtlinie tut, was kaum von einer anderen Infanterie je geleistet worden ist: Kavallerie in Linie empfangen, ihre Musketen bis zum letzten Augenblick geladen halten und erst einen Kugelregen abfeuern, wenn sich der Feind auf 30 Yards genähert hat, und fast immer mit dem größten Erfolg. Die britische Infanterie feuert mit einer solchen Kaltblütigkeit selbst im kritischsten Augenblick so, daß ihr Feuer in seiner Wirkung das aller andern Truppen übertrifft. So trieben die Hochländer, in Linie formiert, die russische Kavallerie bei Balaklawa zurück.”(MEW 11/409)


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Verfasst 28. Februar 2024 von admin in category "Aktuelles

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