döp-dödö-döp. Das Lied der Deutschen. Oder: Die Gnade der frühen Geburt.
Spätestens seit dem inszenierten Skandal um Hubert Aiwanger und (s)ein Flugblatt sollte jeder um die Gefahr wissen, die von tatsächlichen oder erfundenen Jugendsünden ausgehen kann. Allerdings ist es in einer immer intoleranter werdenden und zunehmend polarisierten Gesellschaft gar nicht so einfach, allen denk- und undenkbaren Sündenfällen aus dem Weg zu gehen. Bei einigen meiner Jugendsünden war es ganz gut, dass es noch keine Smartphones gab und das Denunziantentum weniger stark ausgeprägt gewesen ist als heute.
Irgendwann Ende der 1970er Jahre. Das Abi war in Sichtweite, das heute übliche Herumgeheule wegen des ach so unerträglichen Pensums (wir schafften es in zwölf Jahren) war noch nicht erfunden, da lag es nahe, die eine oder andere Fete zu feiern. La Boum ohne Sophie Marceau. Spektakulär waren die Parties im Haus eines bekannten Leipziger Mediziners am Rande des Auwaldes. War der Professor aus dem Haus, konnte die Party beginnen. Die beiden Töchter als Gastgeberinnen ließen sich nicht lumpen, mitgebrachte und aus der gut bestückten Bar des abwesenden Hausherrn entwendete Getränke sorgten für gelöste Stimmung. Was war es doch für ein Spaß, zu vorgerückter Stunde im nahen Auwald Glühwürmchen einzufangen und anschließend beim Gruppenkuscheln im abgedunkelten Zimmer freizulassen. Als der DDR-Rundfunk den Tag mit der Nationalhymne beendete, übertönten wir am offenen Fenster das „Auferstanden aus Ruinen” mit der anderen deutsche Hymne, ohne uns darüber Gedanken zu machen, dass „Deutschland, Deutschland, über alles” politisch nicht korrekt sein könnte. Weil wir nun schon mal am Trällern waren, wurde gleich noch „Die Gedanken sind frei” nachgeschoben. Konsequenzen? Njet. Kein übereifriger Blockwart denunzierte das Jungvolk wegen des unsozialistischen Liedguts, kein Video wurde gedreht, das womöglich Jahre später hervorgekramt werden und Ärger machen könnte. Alle machten ihr Abi fertig, studierten, wurden Ärzte, Notare, Museumsdirektoren, Wissenschaftler, … Was waren das für herrliche Zeiten.
Und die Knallerei. Nein, nicht das handelsübliche Silversterzeugs aus Silberhütte. Ich entwickelte als Schüler ein Faible für chemische Spielereien. Schwefel, Holzkohle und Salpeter im richtigen Verhältnis gemischt und gezündet. Ok, Flamme und Zisch. Also verdämmen. Ein mit Erde gefüllter, hölzerner Blumenkasten auf dem elterlichen Balkon bot sich an. Ein Loch gebuddelt, Pulver hinein, Erde drauf, festgedrückt. Zündung per Wunderkerze. Viel Besser! Es plauzte, blitzte und qualmte. Als der Pulverdampf sich verzogen hatte, gab es keinen Blumenkasten mehr. Blaulicht? SEK? Nö. Ebensowenig übrigens wie bei meinen späteren Experimenten. Besonders schön lief’s mit Jodstickstoff, einer sehr, sehr sensiblen Verbindung. In Wasser oder Alkohol gelöst, war das braunschwarze Zeugs friedfertig. Als trockenes Pülverchen hingegen … da reicht ein scharfer Blick, um es scheppern zu lassen. Logisch, dass sich „sowas” besonders gut auf einem Fußabtreter oder in einem Treppenhaus macht. Oder in einem alten Türschloss. Trotzdem: Nie im Leben wäre die vor lauter Schreck hopsende Briefträgerin auf die Idee gekommen, wegen eines vermeintlichen Anschlags Anzeige zu erstatten. Was waren das für herrliche Zeiten.
Warum ich das erzähle? Nein, mir ist es nicht nach Schwelgen in Jugenderinnerungen und auch nichts in der Art „Oppa erzählt vom Kriech”. Es ist vielmehr ein Rückblick auf eine Zeit, in der es irgendwie entspannter und vor allem toleranter zuging als in diesem heutigen Deutschland, in dem wir gut und gerne leben (sollen). Toleranter, als in diesem Staat, in dem das IM-Unwesen zu neuer Blüte gelangt ist und Millionen verschleudert werden, um Denunziantenbriefkästen (aka Meldeportale) einzurichten und die neuen Blockwarte zu alimentieren (aka Demokratie stärken).
Wann hat das eigentlich angefangen? Schwer zu sagen; da geht es mir und vielen anderen wie dem Frosch im (falschen) Gleichnis vom allmählich heißer werdenden Wasser. Das Unheil nahm ganz allmählich seinen Lauf. Die 1990er Jahre waren ein wilde Zeit; sie schmeckten nach Aufbruch, nach Freiheit und nach Chancen. Spätestens um das Jahr 2000 verschwand dieses Gefühl. Statt dessen schmeckten die Jahre zunehmend muffig, was wohl auch daran lag, dass es fürs deutsche Führungspersonal keine Amtszeitbegrenzung gibt. Ich mag Kohl, aber wenn man zuviel davon hat, gibt es so einen unerfreulichen Geruch. Das ist beim Essen so und in der Politik auch.
Mit dem Wechsel zu zweimal Rotgrün änderte sich der Geschmack, ohne besser zu werden. Im Gegenteil: Die rote Zutat brachte trotz Brioni und Habanos eine (mitunter mehr als nur) leicht prollige Nuance ins Spiel, die durch gelegentliche Basta-Sprüche noch unterstrichen wurde. Die grüne Zutat steuerte eine piefig-spießig-dogmatische Fanatismuskomponente bei. Ideologie statt Sachpolitik. Da setzte für mich die gefühlte Erosion der Toleranz und des „Mer muss och jünne künne” ein. Sicher ist es nur ein Zufall, dass 1998, ziemlich genau in der Mitte der rotgrünen Doppellegislatur, eine gewisse Anetta Kahane mit ihrer Amadeo-Antonio-Stiftung auf den Plan trat …
Deutlicher wurde der Niedergang von Meinungsfreiheit und Toleranz unter der leider vier Legislaturperioden andauernden Ära Angela Merkels. Sie erfand Instrumentarien wie den Begriff „alternativlos”, welcher nichts anderes bedeutete, als dass die gottgleiche und mit dem Wissen um die absolute Wahrheit ausgestattete Kanzlerin entscheidet, wo es langzugehen hat. Da war es dann nur folgerichtig, dass sie im Alleingang Atomreaktoren (denen kurz zuvor noch eine erkleckliche Restlaufzeit garantiert wurde) abschalten ließ, was zu milliardenschweren Entschädigungszahlungen an die Betreiber der Meiler führte. Alternativlos öffnete die „Abrissbirne aus der Uckermark” auch die Grenzen für den unkontrollierten Zustrom von zumeist jungen männlichen Einwanderern ins deutsche Sozialsystem (aka Geflüchtete). Dass diese zum großen Teil aus Kulturen stammten, die man selbst mit viel gutem Willen nur als archaisch bezeichnen kann, ist inzwischen auch in der Kriminalstatistik nicht mehr unter den Teppich zu kehren. „Wir schaffen das.”
Wer diese Politik der bewussten Selbstzerstörung argumentativ in Frage stellte, fand sich nicht im gewohnt offenen Diskurs, sondern in der rechten Ecke wieder, in die Merkel und ihre Entourage jeden stellten, der vom immer enger werdenden Korridor der erlaubten Meinung abzuweichen wagte. Im Frühjahr 2020 gipfelte die Merkelsche Selbstüberhöhung während der Corona-Plandemie in der Forderung, auf „Diskussionsorgien” zu verzichten und kritiklos ihrer Palastorder zu folgen (Für mich war diese Entgleisung übrigens der letzte Anstoß, um der nach links-grün gerückten, vermerkelten CDU nach Jahren sehr aktiver Mitgliedschaft den Rücken zu kehren).
Der naive Glaube, dass es „nach Merkel” nur besser werden könnte, erwies sich nach der Inthronisierung des Kabinetts Scholz (Hier erübrigt sich die Zählung. Olaf der Vergessliche weiß es noch nicht, aber eine zweite Kanzlerschaft ist für ihn so wahrscheinlich, wie die Fähigkeit, übers Wasser zu laufen) als Irrweg. Diese neue Regierung glänzte mit einem bisher nicht bekanntes Ausmaß an kollektiver Inkompetenz, Überheblichkeit und Bildungsarmut, garniert mit ideologischem Fanatismus und stellte aufs Trefflichste unter Beweis, dass das alte Sprichwort „Schlimmer geht immer” weiterhin seine Gültigkeit hat.
Dort, wo das Denunziantentum unter Merkel vergleichsweise zarte Triebe zeigte, gelangte es unter dem unheilvollen Licht der Ampel zu voller Blüte. Millionenbeträge flossen und fließen an dubiose Faktenchecker, Meldeportale sowie an Denunziantenpack, das selbst einem gestandenen Blockwart zuwider gewesen wäre. Weshalb? Galt bisher das Unschuldprinzip, muss nun der Beschuldigte den Nachweis erbringen, nichts Böses getan zu haben. Meldeportale nehmen anonyme Anzeigen entgegen und pressen diese in dubiose Statistiken, die dem Zweck dienen, die Daseinsberechtigung dieser Denunziantenstadel unter Beweis zu stellen und ihnen den weiteren Zustrom zweckentfremdeter Steuergelder zu sichern.
Ja, das alles hat unter Merkel und ihrem Plandemiewahn begonnen, als Polizisten Kinder vom Rodelhang jagten, Klavierspieler festnahmen, Grundgesetzvorleser wegprügelten und Familien, die für ihre grundgesetzlich garantierten Rechte in Berlin auf die Straße gingen, per Wasserwerfer zu disziplinieren versuchten. Zur Perfektion wurde das unheilvolle System der outgesourcten Zensur und immer perfideren Meinungsmanipulation jedoch unter der unheiligen Allianz der drei Ampelparteien SPD, Grüne und FDP. Während die letztgenannte während der Legislaturperiode durch Feigheit vor dem Koalitionspartner und die hohe Kunst des fortgesetzten Umfallens vor allem ihre Selbstverzwergung vorantrieb, bekämpften SPD und Grüne ihnen nicht genehme Meinungen mit aller Vehemenz, zu denen ideologische Fanatiker in der Lage sind.
Besonders pikant: In ihrem Sendungswahn attackieren diese selbsternannten Hüter des Rechtsstaates die Meinungsfreiheit (und die Kunstfreiheit gleich mit) nicht erst, wenn tatsächliche Grenzen überschritten werden, sondern prophylaktisch auch dann, wenn eine solche Grenzverletzung in der Zukunft zu erwarten ist. Das klingt verrückt? Ist es auch! Willkommen in Deutschland.
Zuständig fürs Orakeln ist mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz übrigens eine dem Innenministerium unterstehende und weisungsabhängige politische Behörde. Damit ist die Bundesrepublik Deutschland die einzige westliche Demokratie, die einen Inlandsgeheimdienst dafür einsetzt, die (demokratische) Opposition zu bespitzeln. Noch einmal: Diese Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mittel erfolgt unterhalb der Strafbarkeitsschwelle. In der DDR war für solche Aktionen das Ministerium für Staatssicherheit zuständig, die Vergehensweise nannte sich Zersetzung.
Aber selbst die gerichtsfest bestätigte Nicht-Strafbarkeit einer Handlung schützt im besten Deutschland aller Zeiten nicht vor Verleumdung, Verfolgung und was es sonst noch an unfreundlichen Konsequenzen gibt. Beispiel gefällig? Dann denken wir mal an ein paar selten dämliche Typen, die einen noch dämlicheren Text auf eine ganz nette Melodei namens L’Amour toujours sangen. Genau. Sylt.
Dass ein Video dieser hirnrissigen Entgleisung gedreht und veröffentlicht wurde, ist in der heutigen Zeit kein Wunder. Was dann jedoch an medialer Treibjagd samt beruflicher Folgen über die Deppen hereinbrach, hatte etwas von Inferno. Ächtung, Anzeigen, Jobverlust, gesteuerte Gratismutdemos gegen rääächts.
Dabei ist bereits mehrfach (!) gerichtlich festgestellt worden, dass das Absingen der Textzeile „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus” nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Nach den Staatsanwaltschaften in Augsburg und Neubrandenburg hat das nun auch die zuständige Behörde in Hannover bestätigt. Dennoch finden sich immer wieder Denunzianten, die in ihrer Dämlichkeit den Sylter Sängerdeppen in nichts nachstehen und bereits das Abspielen der Originalmusik zur Anzeige bringen. Wenn dann gar dazu ein pöööhser Text gesungen wird, naht die Staatsmacht im Galopp und leitet auf Steuerzahlerkosten mal wieder sinnlose Verfahren ein.
Wie weit dieser vorauseilende Gehorsam bei Untertanen vom geistigen Schlage eines Diederich Heßling gehen kann, zeigte sich im September 2024 vor den Toren Leipzigs. Teil des schon tradionellen Parthenfestes ist neben allerlei Bespaßung auch ein Dorfbums mit Musik (aka Tanzvergnügen). Ob es klug war, dass der seit Jahren angeheuerte und beliebte DJ zu mitternächtlicher Stunde eben jenes seit Sylt in Misskredit geratene Lied spielte, sei dahingestellt. Dass einige Deppen eben jenen Text sangen, der seit Sylt für das Böse schlechthin steht, lässt alkoholverstärkte geistige Armut vermuten. Dass prompt ein guter Staatsbürger die Untat im Video festhielt, ist im besten Deutschland aller Zeiten Usus. Dass ein Seelchen hysterisch reagierte und aus Furcht um seinen Job davonrannte, ist angesichts der jüngsten Entwicklung in eben diesem Deutschland nicht überraschend.
Nicht vorherzusehen war allerdings, dass aus der Chefetage des Rathauses prompt Herrscherblitze abgefeuert wurden, die selbst Zeus hätten vor Neid erblassen lassen. Den DJ traf vom kommunalpolitischen Olymp prompt die ewige Verdammnis. Nie, nie wieder werde er im Festzelt beim Dorfbums auflegen dürfen. Zu schlimm sei es, dass er nicht nur das pöööhse Lied aufgelegt hatte, sondern dazu auch noch etwas in der Art wie „Wir sind doch hier nicht auf Sylt” sagte. Das lässt tief blicken, sehr tief. Nicht dahingehend, was den DJ angeht, vielmehr hingegen auf das Demokratieverständnis der Person, die den DJ zu ewiger Verdammnis verurteilt hat.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir übrigens ein Zitat aus Johhannes 8,7 ein: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein”. Wer’s nicht so biblisch mag, dem sei Cicero ans Herz gelegt: „Je näher der Zusammenbruch eines Imperiums rückt, desto verrückter sind seine Gesetze.” -ad
PS.: Nur gut, dass mir die Gnade der frühen Geburt zuteil wurde.
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