5 März 2024

Kofferträgererinnerungen. Oder: Nachdenken über Berliner Getriebeteile

Vor ein paar Jahren hatte ich ein sehr erhellendes Gespräch mit einem Rädchen des Berliner Politikbetriebes. Warum erhellend? Dieses Gespräch zeigte mir (wieder einmal), von welcher Art Führungspersonal Deutschland dahingewurstelt wird. Mein Gesprächspartner gehörte übrigens zur damaligen schwarzen Regierungspartei und unser Gespräch drehte sich um den Islam.

Wir sprachen miteinander in dem Jahr, als selbst wohlmeinenden Zeitgenossen schmerzlich klar wurde, dass „Wir schaffen das”, Fähnchen und Teddybären aus Wölfen keine Lämmer machen. Die Höflichkeit gebietet es, meinen damaligen Gesprächspartner nicht bloßzustellen, denn er hält sich bis heute für klug und wichtig. Also nenne ich ihn Herrn Schnappschnick. Klangliche Parallelen zu seinem tatsächlichen Namen sind nicht beabsichtigt; etwaige Ähnlichkeiten zu tatsächlich existierenden Namen rein zufällig.

Foto: Bundesarchiv / CC BY-SA 3.0

Es war eine größere Runde, bei der auch ein uniformierter Vertreter der Exekutive zu Gast war, denn es ging um die Kriminalitätsentwicklung in der Region. Überflüssig zu sagen, dass die Kurve deutlich nach oben zeigte. Irgendwann kam die Rede auch auf kulturelle und religiöse Unterschiede zwischen der schon länger hier lebenden Bevölkerung und jenem Teil, der den deutschen Ureinwohnern so plötzlich geschenkt wurde und wird.

Herr Schnappschnick sah sich mehrfach zum argumentativen Eingreifen genötigt und worthülste Regierungssprech, auf dass das Bier in der Gartenkneipe schäumte. Beim Stichwort Islam lief er zur Hochform auf. Das könne man nicht so einfach betrachten, dozierte er. Schließlich gebe es den Islam an sich ja gar nicht. „Nein”, rief Herr Schnappschnick nach einer Kunstpause, die wohl dazu gedacht war, dem tumben Volk Zeit zum Staunen zu geben, „Es gibt davon mehrere!” Er, der Herr Schnappschnick höchstselbst, habe diese Weisheit aus absolut sicherer Quelle. „Ich habe dazu den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages befragt und mir wurde mitgeteilt, dass der Islam zahlreiche unterschiedliche Richtungen habe.” Dieser Ausbruch himmelschreiender Unwissenheit verursachte bei mir zunächst einen Kopfschüttelanfall und danach ein hysterisches Kichern. Ich habe mit den Jahren gelernt, allerlei seltsame Figuren zu tolerieren. Allerdings wird mich die unsägliche Kombination von Dummheit und Arroganz wahrscheinlich noch bis zu meinem (hoffentlich fernen) letzten Atemzug aufregen. Das ist schlimm, denn gerade diese Paarung ist häufig anzutreffen. „Dummheit und Arroganz gehen gern Hand in Hand.” (Stammt von mir, darf zitiert werden)

Doch zurück zum Auslöser meines Kicherns: Herr Schnappschnick war viele Jahre lang das, was gern als „wissenschaftlicher Mitarbeiter” euphemisiert wird. Euphemisiert deshalb, weil diese Art Mitarbeiter mit wirklicher Wissenschaft in etwa so viel zu tun hat wie ein Soziologe. Etwas treffender werden diese Getriebeteile gern als Kofferträger bezeichnet, oft auch als Internetausdrucker. Beide Ehrennamen rühren daher, dass ein solcher wissenschaftlicher Mitarbeiter vor allem der Leibsklave seines Chefs ist (welches auch eine Chefin sein kann). Er trägt el cheffe den Aktenkoffer hinterher und druckt ihm „dieses Internet” aus, weil el cheffe sich in diesem Internetz ja nichts wegholen will. Und auch nicht weiß, wie das eigentlich geht.

Herr Schnappschnick ist von Hause aus Journalist, aber er wechselte irgendwann auf die dunkle Seite der Macht und trat in den Dienst eines MdB, später apportierte er mal Köfferchen im Landtag, dann wieder den einer MdBeuse. Dies schien ihn in seinem Selbstverständnis dafür zu qualifizieren, anderen Leuten die einzig absolute Wahrheit zu vermitteln.

Warum macht ein Mensch mit einem Hauch von Rückgrat so etwas? Erstens ist es ein gut bezahlter und sicherer Job (zumindest für die Dauer einer Wahlperiode und wenn man nicht plötzlich sein Rückgrat entdeckt).

Zweitens gibt es dem Kofferträger das Gefühl der Wichtigkeit, denn immerhin hat er ja einen Ausweis, der ihm den Zugang zu den heiligsten Hallen der deutschen Demokratie gewährt. Und ein wenig kann der Kofferträger ja auch damit angeben, dass er den Zugang zu seinem gottgleichen Abgeordneten gewähren kann. Zumindest tun die Kofferträger gern so, als könnten sie genau das.

Drittens kann so ein Kofferträger die deutsche Version des american dream leben, wenn er immer in der Spur läuft,, nicht ganz dämlich ist, el cheffe keine anderen Ambitionen und keinen Amtserben in seiner Blutlinie hat und sich das politische Klima nicht grundlegend wandelt: Dann tritt beim Rückzug des MdB aus dem Bundestag gern die parlamentarische Erbfolge in Kraft, aus dem Kofferträger wird der MdB. Politische Inzucht in Reinform.

Ermattete Leser mögen sich nun die Frage stellen, weshalb ich diese Kofferträgergeschichte so detailversessen geschildert habe. Ganz einfach: Weil Herr Schnappschnick kein exotischer Einzelfall, sondern in gewisser Weise typisch für den deutschen Politikbetrieb und das Selbstverständnis der politischen Kaste ist. Es gibt viele, zu viele dieser Rädchen, die sich im politischen Getriebe auf irgendeine Weise drehen, die fern der wirtschaftlichen Realität ihr Auskommen gefunden haben und diesem Land und seinen Steuerzahlern mindestens in gleichem Maße schaden wie ihre stets die Fraktionsdisziplin befolgenden Abgeordneten. All die Kofferträger, Geschäftsstellenleiter und sonstiges subalternes Personal sind die Schreibtischtäter der Neuzeit, die ihre Schäfchens ins Trockene bringen und sich guten Gewissens darauf berufen, nur Anweisungen auszuführen, weil sie ja keine Unmenschen sind. Und sie lieben das, was sie tun, weil dieses Tun sie wichtig macht.

Etwaige historische Parallelen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig. Die wenigen ehrlichen, aufrichtigen, sich um der Sache willen drehenden Rädchen, die ich zu Unrecht in einen Topf mit Herrn Schnappschnick geworfen habe, bitte ich aufrichtig um Entschuldigung.  -ad


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Verfasst 5. März 2024 von admin in category "Aktuelles

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