25 August 2024

Wahlkampf ist, wenn’s in Saal und Postfach eng wird

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: „Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, im Krieg und nach der Jagd”, sagte Otto von Bismarck. Was der erste deutsche Reichskanzler (Nimm dies, Emilia!) nicht sagte: Vor Wahlen krabbeln jede Menge Möchtegern(wieder)gewähltwerdenwollende aus ihren Büros bzw. Löchern oder unter ihrem Stein hervor und biedern sich beim tumben Wahlpöbel an, auf dass dieser sein Kreuz bitteschön zum Wohle Deutschlands oder mindestens Sachsens bei ihrem Namen machen möge. Mitunter nimmt dieses politische Einschleimen kuriose Züge an.

Wie kurios es zugehen kann, erlebte ich vor einigen Jahren bei der Hauptversammlung eines Verbandes in der Nähe von Wurzen. Diese Veranstaltung fand mit schöner Regelmäßigkeit im Saal eines ländlichen Gasthauses (leider hat dieses die Plandemie nicht überlebt) statt. Verbandsvorstand und Delegierte tagten dort Jahr für Jahr und blieben unter sich, sofern man von meiner Wenigkeit als Pressevertreter absieht. Doch im Vorfeld eines anstehenden Urnenganges änderte sich das. Heißa, wie sich die Besucherreihe füllte! Möchtegernabgeordnete aller politischen Farben und Schattierungen (Blau gab es damals noch nicht) drängte es förmlich, ihre Grußworte und Lobeshymnen vorzutragen. Im Herzen sei man schon seit Jahrzehnten von der Sache gerade dieses Verbandes begeistert, war von Schwarz bis Gelb zu hören. Man werde, so erst gewählt, das Anliegen des Verbandes in der neuen Legislaturperiode in den Fokus nehmen und dafür löwengleich kämpfen, wurde Eid um Eid geschworen. In der anschließenden Pause schnell noch die Gratisbockwurst eingebaucht, dann verabschiedeten sich die Möchtergerns. „Ich werde noch bei anderen, gleichfalls wichtigen Terminen erwartet, gerade Sie haben dafür sicher Verständnis …”. Bei der Versammlung im Folgejahr blieben die Verbandsmitglieder wieder unter sich, was den Präsidenten nach einem Blick auf die leeren Besucherstühle zu der knarzigen Bemerkung veranlasste: „Man merkt, dass wir kein Wahljahr haben.”

Woran merkt man noch, dass in Sachsen am 1. September 2024 ein neuer Landtag gewählt wird? Natürlich auch an der Omnipräsenz aller eigentlich verzichtbaren Mandatsträger und Gerneinmandattragenwollenden bei jeder nur denkbaren Veranstaltung bis hin zum allerletzten Dorfbums. Noch peinlicher wird’s, wenn sich jahrelang unauffällige Abgeordnete zehn Tage vor der anstehenden Landtagswahl berufen fühlen, Bilanz zu ziehen. Wie das geht? Einfach nachschauen, welche Beschlüsse in der vergangenen Wahlperiode irgendwie den eigenen Wahlkreis betrafen, dann zusammenzählen, für wieviele Phantastillionen Euro da die Hand gehoben wurde und mit größter Überzeugung via FB oder andere Kanäle verkünden: „Tumbes Wahlvolk, ich habe Euch ritterliche Dingsunddongzig Millionen Euro zukommen lassen.” Die Sache hat einen Haken: Sofern das Visier – sprich: die Kommentarfunktion – nicht geschlossen wird, reagiert der weniger tumbe Teil des Wahlvolkes auf solcherart Dumsch(w)ätzerei allergisch und pflastert derart hanebüchene Postings mit ätzenden Kommentaren zu. Das zieht Arbeit nach sich, denn mitunter vermehrt sich die Kritik schneller, als der geharnischte Löschfinger klicken kann.

Ein noch besseres Indiz für anstehende Wahlen ist mein Postfach, in dem neben vielem anderen Zeugs auch die Pressemitteilungen der sächsischen Staatsministerien landen. Deren Schlagzahl hat sich im Lauf des Sommers kontinuierlich erhöht und erreicht aktuell interessante Dimensionen. Am 23. August, einem ansonsten eher ruhigen Freitag, rauschten stolze 14 Einladungen zu ministeriellen Handschüttelterminen in meinen Posteingang. Hinzu kamen tolle Vollzugmeldungen, wie z.B. der Bericht „Schöner Baden in Berggießhübel” (Übergabe eines Fördermittelbescheids über 65.000 Euro für ein Schwimmbad) oder eine Pressemitteilung, in der es um den Besuch des Sächsischen Agragministers bei irgendwelchen Lebensmittel-Startups ging. Selbstredend war der grüne Staatsminister Günther dort nicht allein, sondern hatte sich einen gewissen Cem Özdemir mitgebracht. Ob’s hilft? Hoffentlich nicht.

Was die Einladungen angeht: In den letzten Tagen vor der Landtagswahl könnte ich es mir gut gehen lassen, denn zu jedem dieser Termine gibt es ja ein Häppchen. Ich müsste zwecks Pickelvermeidung lediglich die allzu gesund-nachhaltig-veganen Angebote aussondern.

Beispiele gefällig? Eine Staatssekretärin trägt einen Fördermittelbescheid nach Schneeberg (irgendwas mit innovativ), die Chefin der Landesdirektion Sachsen einen weiteren nach Leipzig (Offenlegung des Pleißemühlgrabens), der sächsische Wirtschaftsminister spielt ebenfalls Pestbeule (Sch… Autokorrektur) Posteule und trägt einen Bescheid nach Chemnitz (irgendwas mit Innovation), eine weitere Staatssekretärin möchte auch mal ran und schafft Kohle nach Audenhain (Spielplatz), die Kulturministerin besucht die Weinbergkirche in Dresden und hat für die Pfaffrumpels ebenfalls Euronen im Gepäck.

Den sprichwörtlichen Vogel in Sachen Ich-mach-doch-keinen-Wahlkampf schießt der vergessliche Bundesolaf ab. Er kommt am 30. August 2024 ins ach so finstere Sachsen und besucht das Oberbergamt Freiberg, von dessen Existenz er mutmaßlich erst beim Briefing während des Fluges erfahren wird (Früher wäre schlecht, dann hätte er’s womöglich schon wieder vergessen.). Wer sich nun wundert, was Olaf Scholz beim Oberbergamt zu suchen hat … er trifft sich dort mit Martin Duhlig (SPD), seines Zeichens sächsischer Staatsminister für Wirtschaft und so Zeugs und qua Amt Oberster Bergmann des Freistaates Sachsen. Na, was für ein Zufall!

Ach ja, die duzende Petra Köpping hält am 26. August eine sicher weltbewegende Rede in Mittweida, Martin Duhlig besucht einen Produktionsbetrieb in Radeburg, und, und, und … (Die Liste der tollen Termine in der Vorwahlwoche ist noch ewig lang, wer Lust auf sowas hat, hier ist sie.)

Und das Gute daran: Nach der Wahl ist alles vorbei. Dann kehren all die informationsaussendenen Ministerien und Ämter wieder zu ihrer normalen Schlagzahl zurück. Sie haben aber auch Erholung nötig, denn es ist sicher anstrengend, dem tumben Wahlvolk Interesse vorzugaukeln. Die Regenerationsphase wird eine fast komplette Wahlperiode lang dauern, ehe wieder die übliche Vorwahlaktivität einsetzt. Ok, wahrscheinlich nicht bei allen, denn grüne Minister dürften nach dem 1. September 2024 in Sachsen Mangelware, aber von niemandem vermisst werden.   -ad

PS.: Noch eine (nachträgliche) Anmerkung aus aktuellem Anlass: Wenn all die Kretschmers, Köppings, Duhligs, Günthers und wie sie sonst noch heißen, ihre als Pseudotermine getarnten Wahlkampfauftritte absolvieren, gelangen sie ja nicht per Pedes oder mit dem Fahrrad dorthin, sondern – weil dienstlich – mit ihrer Dienstlimousine samt Fahrer und Personenschutz. Damit finanzieren die Steuerzahler direkt die Wahlkampfauftritte der jeweiligen Parteien. Ob sie wollen oder nicht. In diesem Zusammenhang stellte der weitgehend vergessene sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt eine wohltuende Ausnahme dar. Ich bin ihm in seiner Zeit als Finanzminister bei einem Wahlkampfauftritt in der Nähe von Markranstädt begegnet. Er kam zu meiner Überraschung  in einem ziemlich ranzigen Audi angefahren, was mich zu der Frage veranlasste, was denn mit seinem Dienstwagen samt Fahrer geschehen sei. Milbradt: „Das hier ist nicht dienstlich, das ist CDU. Da kann ich nicht mit dem Dienstfahrzeug kommen.” Politiker mit einem solchen SAmtsverständnis sind heute Mangelware.

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Verfasst 25. August 2024 von admin in category "Aktuelles

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